Gellner lässt grüßen!
Ein Passivhaus im Kaunertal
Vor gut zwanzig Jahren hat es mich, als “Flachländer”, in die Berge verschlagen. Geblieben bin ich bis heute. Dem Architekten Edoardo Gellner¹ ging es ähnlich: geboren 1909 in der Küstenstadt Opatija (Istrien – Kroatien), zog er 1947 in die Berge nach Cortina d’Ampezzo. Er baute 1964, nur 40 Kilometer von meinem niederländischen Heimatdorf entfernt, für die Familie Talamini eine italienische Eisdiele mit angeschlossenem Wohnhaus (die ich allerdings bis jetzt noch nicht besucht habe).
Nach einigen Jahren des “Anklopfens” beim größten gemeinnützigen Bauträger Tirols, bekam mein Büro den Planungsauftrag für das erste Mehrparteien-Wohngebäude in der Gemeinde Kaunertal. Den Bauplatz besuchte ich Ende September 2019 mit einem Mitarbeiter. Ringsum mächtige Berge, steil aufragend aus der hier spärlich vorhandenen ebenen Fläche. Das Tal ist zudem so stark lawinengefährdet, dass es fast ein kleines Wunder war, eine größere zusammenhängende Fläche für die Entwicklung einer Wohnsiedlung ausweisen zu können.
Farblich war die Natur in dieser Höhe schon auf Herbst eingestellt: das Rotbraun der Lärchen, das Goldgelb der Gräser und das blasse Grün des Mooses; dazu das Graugrün der Felswände. Am Grundstück dann ein ausgeblichenes Rot eines Feuerwehrreliktes und eine verwitterte Holzwand eines angrenzenden Stadels.
Die knapp 1.200 m² große, langgestreckte Parzelle liegt auf fast 1.300m Seehöhe und ist eingeklemmt zwischen der Kaunertalstraße im Nordosten, der Zufahrtsstraße zum neuen Siedlungsgebiet im Südosten und einer Lawinenschneise, direkt nordwestlich angrenzend an das Baugrundstück.
Ein länglicher Baukörper begleitet den Straßenzug in ost-westlicher Richtung. Der Vorplatz zur Kaunertalstraße orientiert, geschützt durch ein auskragendes Dach aus Holz. Die eingehauste Einfahrt in die Tiefgarage in rauhem Beton am östlichen Ende; Terrassen, Gärten und Balkone auf der straßenabgewandten Seite und zur Mittags- und Abendsonne Richtung Südwesten. Das behördlich vorgeschriebene Satteldach eben so flach, dass der Schnee in dieser Höhenlage nicht unkontrolliert abrutschen kann.
Unmittelbar ist in der Farbgebung, der Materialisierung und der Gestaltung auch die Nähe zu Gellner’s Feriensiedlung in Corte di Cadore (I, 1954-1963), insbesondere zum Hotel Boite deutlich spürbar. Für das Gebäude in der Gemeinde Kaunertal wurden sie konzeptionell eingesetzt als Teil einer „gefundenen oder entdeckten Wahrheit²“.